Frust bei Trainer Matarazzo und den Spielern nach der 1:0 Niederlage beim FC Augsburg. Bild: IMAGO / Sven Simon
Auf der Suche nach dem Selbstvertrauen – TSG Hoffenheim im freien Fall
TSG Hoffenheim | erstellt am Mo. 20.02.2023
Nach zwei vergeblichen Versuchen und des Scheiterns der Trainer Alfred Schreuder und Sebastian Hoeneß wollte man heraus aus dem Dornröschenschlaf und sich wieder auf dem europäischen Fußballbankett präsentieren. Unter dem neuen Trainer André Breitenreiter sollte eine neue Aufbruchsstimmung erzeugt werden, um die am Ende der Saison 2021/22 nach einem neunten Tabellenplatz vorherrschende allgemeine Enttäuschung weichen zu lassen.
Man vertraute einem ausgeglichenen, gut bestückten Spielerkader, dem man durchaus internationale Reife attestierte. Auch wenn man bei der Nennung des Saisonziels zurückhaltend und abwartend agierte, war es klar, dass man den Wünschen des Gesellschafters und Mäzens Dietmar Hopp gerecht werden und sich unter die Europapokalanwärter mischen wollte. Nachdem dies anfangs sehr vielversprechend aussah und die Kraichgauer mit vier Siegen aus den ersten sechs Spieltagen weit oben in der Tabelle mitmischten, standen sie am 10. Bundesliga-Spieltag in der Tabelle auf Champions League-Platz 4. Dann passierte etwas völlig Überraschendes: Nach einer 0:2-Heimniederlage gegen den FC Bayern schlitterte man trotz guter Leistungen und spielerisch tollem Offensivfußball in eine Ergebniskrise.
Nach drei Niederlagen in Folge gegen Leipzig (1:3), Frankfurt (2:4) und Wolfsburg (1:2) überwinterten die Blau-Weißen in der für sie ungewohnten zweiten Tabellenhälfte. Hoffenheim war im freien Fall! Was war bloß los mit dieser Truppe, die in der ersten Hälfte der Hinrunde noch begeisterte?
Die Gründe waren vielseitig, schwer analysierbar und doch offenkundig. Natürlich wurde – wie allgemein üblich im Profigeschäft – zuallererst der Negativlauf am Trainer festgemacht. Er steht vor der Mannschaft, gibt die Herangehensweise und Taktik vor und trägt die Hauptverantwortung bei Erfolg und Misserfolg. Trainer Breitenreiter wollte die Fans wieder mehr ins Boot nehmen und ihnen begeisternden und erfolgreichen Fußball bieten. Was anfangs sehr vielversprechend lief, misslang immer mehr. Die TSG begab sich sportlich in den freien Fall. Es waren teils erschreckende Vorstellungen, was die hochdotierten Profis im neuen Jahr nach der Winterpause Woche für Woche ablieferten.
Nach deutlichen Niederlagen gegen Union Berlin (1:3), Borussia Mönchengladbach (1:4), RB Leipzig im Pokal (1:3) und VfL Bochum (2:5) rutschten die Nordbadener in die Abstiegsregion. Es kam, wie es kommen musste: Wenn es nicht läuft, ist der Trainer der Erste, der fliegt. Breitenreiter wurde durch den ehemaligen Stuttgart-Trainer Pellegrino Matarazzo ersetzt. Doch der erhoffte Trainerwechsel verpuffte, der Einstand ging mit einer 1:3-Heimniederlage gegen Bayer 04 Leverkusen und einer 0:1-Auswärtsniederlage in Augsburg völlig daneben.
Die ganze Misere für den sportlichen Leistungsabfall ist jedoch nicht nur am Trainer festzumachen, auch die Kaderzusammenstellung gilt es zu hinterfragen. Nachdem in der Winterpause der hochbegabte Stürmer Georgino Rutter für knapp 40 Millionen Euro in die Premier League zu Leeds United abgegeben wurde, holte man für die Rückrunde mit John Anthony Brooks (300.000.-€ Ablöse) und den beiden Leihspielern Kasper Dolberg und Thomas Delanyi drei erfahrene Profis, die jedoch zuletzt bei ihren Vereinen nicht mehr zur ersten Wahl zählten und wenig Spielzeiten aufweisen konnten.
Es mangelt bei den Hoffenheimern nicht nur im spielerischen sondern vielmehr im mentalen Bereich. Durch wenig Biss und Einsatz kann man mit der Last einer allgemeinen Verunsicherung gegen spielerisch und kämpferisch starke Gegner, die Leidenschaft und Geschlossenheit versprühen, nicht mithalten.
Manager Rosen sprach nach der Pleite in Bochum Klartext: „Die Ergebnisse geben uns allen keine Argumente mehr, da sage ich ausdrücklich „uns allen. Vielleicht müssen wir alles hinterfragen. Die Art und Weise wie wir die Gegentore kassieren, ist indiskutabel.“ Für Rosen ist die aktuelle Situation keine Eintagsfliege: „Wir waren am 10. Spieltag auf Platz 4, acht Monate davor waren wir mit Trainer Sebastian Hoeneß am 25. Spieltag auf Platz 4. Diesen Top-Platz kriegt man nicht geschenkt, einen derartigen Absturz hinzulegen, dafür muss es Gründe geben. Wir zeigen ein Champions-League-Gesicht – das sicher nicht der Wahrheit entspricht, aber es entsprach dem Tabellenplatz. Jetzt zeigen wir ein Absteiger-Gesicht, das auch nicht der Wahrheit entspricht, aber dem Tabellenplatz der letzten Spieltage.“
An der Qualität des vorhandenen Spielerkaders kann es nicht liegen, dieser ist ausgeglichen und auf verschiedenen Positionen doppelt besetzt. Die Gründe liegen vielmehr in der Einstellung und Herangehensweise jedes Einzelnen. Kapitän Oliver Baumann: „Wir reden die ganze Woche, sprechen über alles – und dann haben wir ein solches Zweikampfverhalten. Das reicht nicht, das ist zu wenig. Wir sind fast nur am Verlieren. Das geht mir auf den Sack und das müssen wir abstellen.“
Auch Rekordspieler Sebastian Rudy sucht nach Lösungsansätzen: „Wir schenken die Tore her, wir verlieren die Zweikämpfe und versauen uns so unsere Spiele. Es ist ganz klar, dass es nicht an der Taktik liegt, sondern an der Einsatzbereitschaft, die wir in jeder Minute des Spiels auf den Platz bringen müssen.“ Neuzugang Delaney: „Wir sind nicht da, wo Hoffenheim zuletzt war, stehen ganz unten und müssen nun Mentalität zeigen. Die Mannschaft kann Fußball spielen, aber wir müssen es schleunigst auf den Platz bringen. Uns fehlt das Selbstvertrauen und das bekommen wir nur durch Siege.“
Die Frage stellt sich, wie lange machen die Fans das noch mit? Wie lange tolerieren sie Leistungen wie in den letzten Spielen. Bisher forderten sie von der Mannschaft nur „Wir wollen Euch kämpfen sehen!“, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Wenn keine deutliche Leistungssteigerung eintritt um die Talfahrt zu stoppen, gehen die Hoffenheimer ganz schweren Zeiten entgegen. Christoph Baumgartner, der noch zu den konstantesten Spielern zählt: „Uns fallen die einfachen Dinge momentan schwer. Die Qualität ist vorhanden, aber das müssen wir auf den Platz bringen. Es sollte auch dem Letzten bewusst sein, dass es nur noch darum geht, die Klasse zu halten. Dafür benötigen wir Siege.“
Nach den nächsten drei anspruchsvollen Gegnern mit Borussia Dortmund, Mainz 05 und SC Freiburg folgen drei ganz wichtige Kellerduelle gegen Hertha BSC Berlin, Werder Bremen und FC Schalke 04. Sollten sich die Kraichgauer spätestens hier nicht aus der Gefahrenzone bringen, lässt sich angesichts des schweren Restprogramms nichts Gutes erahnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ausgerechnet am letzten Spieltag das baden-württembergische Nachbarschaftsduell bei Matarazzos Ex-Verein Stuttgart eine entscheidende Rolle im Abstiegskampf spielen wird.
Baumann appelliert an die Anhängerschaft: „Wir brauchen in dieser Situation zudem nicht nur die Südkurve, wir brauchen die Haupttribüne, die Gegengerade. Wenn die Zuschauer dir helfen, dich tragen, das macht nochmal fünf Prozent aus. Wir brauchen nicht nur Zuschauer, wir brauchen Unterstützer, lautstarke Fans. Das braucht die Mannschaft, wir müssen irgendwie jedes Prozent gemeinsam rauskratzen.“
Schon einmal waren die Hoffenheimer in der Saison 2012/13 ich einer ähnlich misslichen Situation, als in zwei Relegationsspielen gegen den 1. FC Kaiserslautern der drohende Abstieg abwendet werden konnte. Das allgemeine Motto im Abstiegskampf hieß damals: „Alle gegen Einen – Alle gegen Abstieg!“ Die Aussagen von Baumann wecken Erinnerungen!
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